Erinnerungen eines Hammerklaviers Ein Beitrag zu Beethovens hundertstem Todestag
von Heinrich Reifferscheid, Honnef, Berlin - 1927
Das alte Hammerklavier hat mein Urgroßvater Nikolaus Simrock als Vermächtnis von Ferdinand Ries erhalten, der Beethovens einziger Schüler war. Nachdem es an Simrocks jüngsten Sohn, den Germanisten Karl Simrock, übergegangen war, ist es

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Der Flügel Beethovens
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in unserer Familie als ein Schatz aus Beethovens Zeit verblieben. Ferdinand Ries hat eigenhändig seinen Namen im Innern des Instrumentes eingeschrieben.
Die Familien Ries und Simrock wohnten beide in der Bonngasse in Bonn, einer Stadtgegend, in der noch mehr Musiker der kurfürstlichen Kapelle wohnten. In derselben Straße stand bekanntlich auch Beethovens Wiege. Nikolaus Simrock, der Begründer des noch heute blühenden Musikverlages, war mit Beethoven und dessen Vater zusammen an der kurfürstlichen Kapelle angestellt. Er hat Beethovens Werke zuerst verlegt, und Beethovens Briefe an ihn sind bekannt.
In einem derselben gedenkt Beethoven dankbar der Unterweisungen, die Simrock, ein Meister des Horns, ihm in dessen Handhabung gab. In einem anderen Briefe bittet er Simrock, scherzhafterweise, ihm eine seiner Töchter als zukünftige Frau aufzubewahren. “Sind Ihre Töchter schon groß?” so fragt Beethoven. “Erziehen Sie mir eine zur Braut, denn wenn ich unverheiratet in Bonn bin, so bleibe ich gewiß nicht lange da.” Beethoven hat nicht geheiratet, er ist aber auch nie wieder an den Rhein gekommen, nachdem er von Bonn nach seiner Mutter Tode weggezogen war.
Um das Hammerklavier herum hat sich in unserer Familie eine eigene kleine Tradition gebildet. Brahms und Joachim waren im Hause meines Großvaters Karl Simrock zu Gast, auch Stockhausen, der Gesangspädagoge. Brahms neckte sich mit Simrocks Kindern; meine Mutter erzählte uns, daß er sie auf den Treppen des alten Hauses in der Acherstraße gejagt hätte bis auf den Speicher, um sie einzuholen. Auf einer alten Geige, die Simrock besaß, spielte Joachim, und auf dem Hammerklavier wurde er begleitet. Bald darauf starb Schumann in Endenich bei Bonn, Joachim schritt hinter dem Sarge mit Herman Grimm, der auch bei meinen Großeltern aus- und einging.

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Treppenaufgang im Geburtshaus Beethovens in Bonn
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Manchmal half Grimm beim Kochen, denn auch davon verstand er etwas; Gustel Grimm, seine Schwester, die mit Joachim zusammen viel musizierte, spielte auf dem alten Hammerklavier in Bonn und auch in Menzenberg bei Honnef, wohin es nach Simrocks Tode in sein Landhaus übersiedelte. Manche Sonate Haydns und Mozarts erklang von ihrem Spiel, und manches Menuett ließ die Jugend des Hauses in sommerlichem Tagen sich im Tanze drehen. Die gleiche Ehre erwies dem Instrument Ferdinand Freiligraths Tochter, Frau Kroeker-Freiligrath, die in London wohnte und uns manchmal in Menzenberg aufsuchte.
Zu den obligaten Bonner Beethovenfesten kamen berühmte Gäste. A. W. Thayer, der Verfasser der großen Beethoven- Biographie, erschein eines Tages, ein kleiner Mann mit großem, von weißem Haupt- und Barthaar umflossenen Kopfe. Er besuchte seine alte Freundin Gustel Grimm, die zum Feste bei uns wohnte. Für uns Kinder war Thayer noch ein besonderer Gegenstand der Bewunderung, verstand er doch, in wenigen Minuten ein Dutzend vierblättriger Kleeblätter aus der Wiese unseres Vorgartens zu finden; sein Auge, das auf Ordnung eingestellt sei, fände deshalb das unregelmäßige vierblättrige Kleeblatt so schnell heraus, erklärte er uns. Wir klebten schnell die gefundenen Kleeblätter auf und Thayer schrieb uns seinen Namen darunter.
Die Töne des Hammerklaviers sind verklungen, Spieler und Hörer und Tänzer fast alle ins Grab gesunken, und das alte Instrument gehört schon lange nicht mehr in die neuen Zeiten, oder etwa doch wieder in die neueste, da man wieder Bach liebt und spielt und die Meister vor Bach?
Für uns, die Nachkommen Nikolaus Simrocks, bleibt es ein äußeres Zeichen der Verbundenheit mit Beethoven, dessen hundertsten Todestag die Welt in diesem Jahre feiert.
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