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Der fränkische Grabstein von Niederdollendorf

Fänkischer Grabstein -VorderseiteAllgemeines:
1901 wurde das Skulpturendenkmal aus hellgrauem, lothringischem Kalkstein bei Ausschachtungsarbeiten für die Heisterbacher Talbahn unter der DB her - in der Nähe der Firma BMW-Wagner - gefunden. Der fränkische Grabstein stammt von einem Friedhof aus der zweiten Hälfte des 6. oder dem 7. Jh. (Merowingerzeit), die schon zahlreiche Grabfunde geliefert hat. Der Stein ist eines der bedeutendsten Denkmäler des Rheinischen Landesmuseums Bonn. Kein vergleichbares Stück wurde bisher gefunden. Er gibt den Gelehrten bis heute viele Rätsel über den Sinn seiner bildlichen Darstellung auf.

Vorderseite:
Sie zeigt nach Dr. Lehner, Direktor des Provinzialmuseums in Bonn, einen bis auf die Füße frontal wiedergegebenen Krieger. Dieser hält in der rechten Hand einen einreihigen Kamm mit flachem dreieckigen Rücken, womit er sich kämmt, während seine linke das quer über seinem Becken liegende fränkische Kurzschwert, den Sax, fasst. Er trägt ein langärmeliges hosenartiges Gewand. Vor seinem rechten Bein ist eine Feldflasche dargestellt. Die rechte Hand und die linke Schulter berührt eine zweiköpfige "Schlange", ein ähnliches Tier berührt das Schwert.

Rückseite:
Hier ist ebenfalls eine frontal wiedergegebene Figur zu sehen. Ihr Kopf ist mit einem Strahlenkranz umgeben. Auf der Brust trägt sie einen großen Kreis. Die rechte Hand hält eine Lanze. Rauten und Dreiecke des Fänkischer Grabstein -RückseiteHintergrundes sind eingeritzt, unten Flechtband und Zickzacklinien. Dr. Lehner sah in der Gestalt einen “verklärten Krieger im Jenseits” oder eine “Lichtgottheit”. Kurt Böhner, Direktor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, sieht in der Figur Christus im Strahlenkranz, dessen Lanze die Königswürde hervorhebt. Seine christliche Interpretation wurde von der Forschung weitgehend übernommen.

Linke Seite:
Die schmale Seite ziert ein großes und darin drei weitere übereinander stehende, Tore.

Rechte Seite:
Sie zeigt zwei ineinander verschlungene, am Schwanzende verknüpfte “Schlangen”, ähnlich denen auf der Vorderseite.

Obere Seite:
Hier sind Quadrate mit Diagonalstrichen und -kreuzen mit einem Kreis in der Mitte eingeritzt.

Fazit:
Die Frage, ob es sich hier um ein christliches oder heidnisches Denkmal handelt, bleibt so lange offen, bis sein Fundzusammenhang mit dem fränkischen Friedhof geklärt ist. Wichtig dürfte hierbei die bei fränkischen Friedhöfen häufig anzutreffende zweite Verwendung von Grabbeigaben sein, ferner das Problem des sog. Grabraubes, dem sich Kurt Böhner gerade im Zusammenhang mit dem Grabstein von Niederdollendorf zuwendet. Mit Spannung sind die weiteren Forschungsergebnisse zu erwarten.

Quelle: Dr. Manfred van Rey - "Königswinter in Zeit und Bild"

 

 

Der fränkische Grabstein

"Fater unser, thu in himilom bist,
gewihit si namo thin, quaeme richi thin,
uverdhe uvilleo thin samo so in himile endi in erthu.
Broot unsaraz emizzigaz gib uns hiutu,
endi farlaz uns sculdi unsero,
sama so uvir farlazzen scolum unserem,
endi ni geleidi unsih in costunga [Schuld]
auch arlosi unsi fona ubile."

So klang im 8. Jahrhundert das Gebet des Herrn, das Vater Unser, in der vokalfarbigen Sprache der Franken auch am Siebengebirge. Die Verehrung der alten Götter verblasste. Nur verstohlen und von abergläubiger Scheu umsponnen, lebten sie in Redewendungen und Bräuchen in der Volksseele fort - bis nahe an unsere Zeit.

In dieser frühen Zeit versanken die Gräber des alten Friedhofes auf der Greelshecke unter die Erdkrume der Vergessenheit, um ein neues Dorf, ein wenig rheinaufwärts, wachsen zu lassen. Über ein Jahrtausend verbargen sie ihre Botschaft vom Einzug des Heilandes in die Dörfer der Heimat. Was dann zu Tage trat, zählte bald zu den bedeutendsten Funden aus der Zeit des germanischen Frühchristentums.

“Das schönste, eindruckvollste und belehrendste Beispiel für die Gleichzeitigkeit heidnischer und christlicher Weltsicht ist der Grabstein von Niederdollendorf, der am Nordrand der nördlichsten deutschen Winzergemeinde ... entdeckt wurde”, so hieß es.

Die Gräber, die auf der Greelshecke immer wieder, ohne planmäßiges Ausgraben, gefunden wurden, waren nur zum Teil als Steinplattengräber erhalten. Die ältesten erhielten vereinzelte Beigaben. Ihre Ostausrichtung ist noch kein Grund, sie christlich zu nennen, wenn es auch nur bei den Christen üblich war, sich beim Gebet gegen das aufgehende Licht zu wenden. Heidnisch-germanische Zauber- und Gebetsriten verliefen zumeist mit dem Blick nach Westen. Beginnendes Christentum und die heidnisch-überkommene Sitte der Grabbeigaben schlossen sich dabei zunächst nicht gegenseitig aus.

Ein ansonsten beigabeloses Steinplattengrab barg den Niederdollendorfer Grabstein. Er war also zuletzt nicht mehr, wie es seiner ursprünglichen Bestimmung entsprach, als Grabdenkmal aufgestellt gewesen. Ein grob behauener Zapfen am unteren Stein beweist jedenfalls, dass er zum Aufstellen gedacht war. Offenbar wurde er nach eigener Zweckerfüllung einem Nahestehenden des Erstbesitzers in das Grab beigegeben.

Wie die Darstellung auf der vorderen Seite des sehr gut erhaltenen Steines verrät, stammt er noch aus jener älteren Zeit, in der Grabbeigaben noch üblich waren.

Der Stein ist selbst wesentlicher Teil des Totenkultes. Der samt dem Zapfen 53 cm hohe Block hat die aus dem Mittelmeerraum stammende Form des sich nach oben hin verjüngenden Pfeilers mit rechteckigem Querschnitt (mittlere Maße: 18 x 23 cm). Das Material ist hellgrauer, lothringischer Kalkstein. Offenbar wurde das Denkmal den zu dieser Zeit allgemein gebräuchlichen Grab-Holzstelen nachempfunden. Die figürlichen Darstellungen auf Vorder- und Hinterseite, die Zier- und Schlangenornamente der Schmalseiten, erinnern jedenfalls stark an die landschaftsübliche Holzschnitttechnik mit flacher Reliefoberfläche.

Auf der Vorderseite des Steines ist der Verstorbene mit seinen Grabbeigaben dargestellt. Es handelt sich um einen bärtigen Kriegsmann. In der rechten Hand hält er einen an römische Formen erinnernden, einreihigen Kamm mit flachem dreieckigen Rücken, den er zum Haar führt. Die Kammform weist in das späte 7. Jahrhundert. In der Linken hält er einen kurzen Breitsax (Sax. = germanisches, einschneidiges Hiebschwert), wie sie seit dem ersten Drittel des 7. Jahrhunderts in Gebrauch waren, in einer mit Nieten (Bronze) beschlagenen Scheide. Vor dem rechten Fuß steht eine als Grabbeigabe zu verstehende, runde zweihenkelige und mit Zierringen versehene Feldflasche, wie sie schon seit früher römischer Zeit von Töpfereien in Mayen/Eifel aus Tongut gefertigt wurden. Im Hintergrund ringeln sich zwei schnabelköpfige Schlangenwesen, die scheinbar auf die Gestalt einbeißen. Die sich um den Kopf des Kriegers wölbende Schlange ist beidseitig mit einem Kopf versehen. Eine dritte erscheint unter dem Ellbogen des rechten Armes. Die Schlange wurde als das uralte Geschöpf der Erdentiefe und des Grabes verstanden.

Sinn der dargestellten Haarpflege ist darin zu suchen, dass bei den Naturvölkern das Haar als Sitz der Lebenskraft galt. So pflegten die Germanen ihr Haar besonders vor einem hohen Wagnis oder vor einer Schlacht. Ein Eid war mit Berührung des Haupthaares verbunden.

Die Darstellung dieser über den Tod hinausgehenden Lebenskraft hatte für die Germanen damaliger Zeit kaum einen Glaubensbezug. Sie bezog sich nicht auf die Hoffnung an ein ewiges Leben im christlichen Verständnis, sondern vielmehr auf den Fortbestand in der eigenen Sippe. Die Welt des Lebendigen war überdies von der des Todes nur fließend getrennt. Die christianisierten Germanen verharrten zudem nicht nur in allen Lebensbereichen in überkommener Dämonengläubigkeit, es gehörte auch zur Eigenheit des frühen Christentums, überall böse Geister zu wähnen. Die Religion war für die ältesten christlichen Generationen nicht zunächst moralische Aufgabe, sondern Mittel gegen drohende, unbekannte Gefahren und Gewalten. Das fand seinen Ausdruck in den ersten christlichen Gräbern. Im späteren Reliquienkult lebte dieses Gedankengut zwar verändert, aber doch kräftig weiter.

Hat die Vorderseite des Grabsteines also kaum christlichen Sinngehalt, so zeigt die Rückseite “die älteste germanische Darstellung Christi, die wir kennen”. Sie verweist schon auf den Heliand, der in spätkarolingischer Zeit zum Christustypus wurde. Er erscheint nicht mehr als Dulder und Schmerzensmann am Kreuz, sondern als der strahlende König des Himmels. Sein Haupt ist von einem Lichtkranz umgeben. Panzer bewehrt und mit einem Speer bewaffnet zertritt er eines jener Ungeheuer, die von den Germanen als Wesen der Erdentiefe empfunden wurden - hier kantig und überhöht dargestellt.

Die Linien, die von dieser Gestalt nach beiden Seiten spitzwinklig abgehen, werden als Lichtstrahlen gedeutet. Eine heidnische Sinngebung sähe im Speerträger eine Lichtgottheit oder den in Verklärung auferstehenden Toten selbst. Er wurde auch als Donnergott Wotan angesehen, der den Ring Draupnirs auf der Brust trug und auf der durch die Schlange symbolisierten Erde stand.

Mehrere gewichtige Tatsachen sprechen gegen heidnische Deutungen.

Im Gegensatz zur Darstellung auf der Vorderseite trägt die Lichtgestalt keinen Bart. Es kann somit nicht der Verstorbene selbst sein. Statt des Saxes trägt sie einen Speer.

Der aus dem Orient stammende Nymbus war der germanischen Kunst unbekannt. Er ging im 4. Jahrhundert aus dem römischen Kaiserkult auf Darstellungen des thronenden Christus über. Damit gehörte er in der Entstehungszeit des Grabsteines längst zum Allgemeingut der christlichen Kunst. Die Lichtstrahlen führten auch zur Annahme einer stark vereinfachten und von winkligen Strahlen durchbrochenen Aureole oder Mandorla, deren oberer und unterer Teil sich im Winkel über und unter dem Speerträger erhalten hat. Der Bildhauer könnte also die Darstellung einer strahlenumflossenen Majestas Domini vor Augen gehabt haben.

Die Mandorla schließlich ist eine nur für Christus und Christussymbole vorbehalten gewesene Kunstschöpfung gewesen. Nie wurde mit einer solchen Symbolik willkürlich verfahren.

Die ringartige Darstellung auf der Brust der Lichtgestalt war dann offenbar einem antiken Brustschmuck auf Prunkrüstungen nachempfunden. Den Speer kannten die Germanen als Zeichen königlicher Macht.

Die Darstellung auf dem Grabstein entspricht durchaus der aus frühgermanischer Dichtung überlieferten Heliand-Gestalt. Christus kam als ewiger Himmelskönig zur Erde, um Tod und Dämonen endgültig zu besiegen.

In der eigenartigen Aussage des Grabdenkmals ist ausgedrückt, wie die fränkischen Bewohner in unserer Heimat den herrschenden Christus mit ihrer Vorstellung vom Volkskönigtum verbunden sahen. Es ist aber zugleich spürbar, dass die heidnische Vorstellung von Allvater Wotan noch nicht ganz überwunden war.

Die Christus-Empfindung, wie sie sich auf dem Niederdollendorfer Grabstein darbietet, steht nicht vereinzelt da. Sie entspricht anderen antiken Christusbildern, in denen der Himmelskönig von Nymbus und strahlendurchbrochener Aureole umleuchtet, in kaiserlicher Rüstung und mit aufgerichtetem Kreuzesstab in der Rechten die dämonische Schlange zertritt. In seinen Machtbereich war der Verstorbene nun eingetreten. Von ihm erhält er im Reich des Todes fortwährende Lebenskraft.

Letzte Zweifel am christlichen Hintergrund der Darstellung werden durch das X-Zeichen auf der
oberen Abschlussfläche des Steinquaders aufgehoben. Dieses vom XP her abgeleitete, verkümmerte Christusmonogramm erfreute sich unter den frühchristlichen Franken größter Beliebtheit, wie andere Grabsteinfunde im Rheinland beweisen. Sie tragen allerdings meist nur das Kreuzeszeichen oder dieses X, ohne Christusdarstellung.

Die schmäleren Seitenflächen des Grabsteines zeigen links eine, soweit dies in seiner Bedeutung heute erkannt ist, rein ornamentalische Stufenmusterung. In einer zu Linien und Schlangen verschlungenen Ornamentik auf der rechten Schmalseite ist magischer Abwehrzauber, Fluch gegen Grabschänder oder Abwehr von Unheil spürbar.

Über den Stand des auf dem Grabstein abgebildeten Kriegers bestehen unterschiedliche Meinungen. Er mag dem bäuerlichen Bereich entstammen oder dem Stand der Freien, deren Vorrecht das möglicherweise durch den Kamm angedeutete lange Haupthaar war. Einen Grabstein von der vorliegenden Art konnte sich jedenfalls nur ein wohlhabender Mann leisten.

Im rätselhaften Bildwerk des Niederdollendorfer Grabsteines begegnen wir aufblühendem Abendland und versinkender Antike. “Man wird ihm wohl am ehesten gerecht, wenn man annimmt, dass er von einem noch sehr wenig mit dem Evangelium vertrauten, neugetauften verfertigt worden ist, der sich Christus nicht anders vorstellen konnte als einen kriegerischen Gott, ähnlich den Göttern, die er bisher verehrt hatte.”

War die Zeit, die der römischen im Rheinland folgte, nahezu bildlos, so kommt dem Grabstein von Niederdollendorf eine erste und außergewöhnliche Bedeutung zu. Er gehört in eine Zeit, in der das Bekehrungswerk in der rechtsrheinischen Uferzone dem Abschluss entgegenging. Er bildet gleichsam den “Lapis primarius”, den Grundstein der Pfarre von St. Michael in Niederdollendorf.

Die Bedeutung Bonns

Beweist der Grabstein aus Niederdollendorf, dass das Christentum schon in merowingischer Zeit den heimatlichen Boden durchwurzelte, so stellt sich die Frage, wo der Baum stand, der diese Wurzeln trieb.

Hier kommt nur das nahegelegene Bonn in Betracht. Zwar liegen keine Urkunden aus merowingischer und karolingischer Zeit vor. Es ist aber sicher, dass das Christentum, das sich in den alten linksrheinischen Römerstädten erhalten hatte, den Strom zunächst nicht überschritt. Erst in fränkischer Zeit strahlte die Botschaft Christi auch in die gegenüberliegenden Landbezirke aus. Alles deutet darauf hin, dass dem Auelgau und damit den Dörfern am Fuß der sieben Berge das Christentum von Bonn aus zugeflossen ist.

                  Auszug aus
                  "St Michael in Niederdollendorf am Rhein - Geschichte einer Dorfkirche" - 1. Teil
                  von Hans Friedrich Berswordt