[...]Der Zahl [seiner Themen] nach kann man [Heinrich Reifferscheid] etwas anachronistisch einen "Landschafter" nennen. Dennoch sollte er nicht zum rheinischen Heimatkünstler reduziert werden.
In etlichen Blättern "porträtiert" er nämlich sehr wohl ferne Landschaftstypen, 1901 beispielsweise das "Gewitter in den Bergen", 1906 ein "Westfälische Landschaft". Als Meister der sublimen, symbolisch aufgeladenen Landschaft erweist Reifferscheid sich in seinen bewunderten Dichtern zugeeigneten Bildern. In wenigen Jahren radiert er Widmungsblätter an Adalbert Stifter, Eduard Mörike, Theodor Storm, Annette von Droste-Hülshoff, Friedrich Hölderlin und Percy Bysshe Shelley, auch an seinen Malerfreund Albert Welti.
Er versteht es, Wesenszüge der Poeten - wie die gespaltene Seele des in Umnachtung versinkenden Hölderlin - oder der Poesie - wie die den Himmel berührenden Bäume von Stifters "Hochwald" - ins Bild zu setzen. Im gleichsam collagierten Widmungsblatt an Storm zitiert Reifferscheid die 1643 von Rembrandt radierte "Landschaft mit den drei Bäumen".
Seine Verehrung für den großen Niederländer lässt sich auch anderen Radierungen ablesen: den flachen Rheinlandschaften mit den niedrigen Horizonten unter hohen Himmeln so gut wie einigen Menschenbildern. Das "Selbstporträt mit Hut" kann die Vorbildlichkeit von Rembrandts "Selbstbildnis, radierend am Fenster" von 1648 nicht leugnen.
Gewiss ist Reifferscheid kein Plagiat unterlaufen; es ging ihm vielmehr um einen alten Bildtypus, um das Bekenntnisbild als Künstler, denn auch er hält die Radiernadel in der Hand. Reifferscheid kommt ohne narrative Momente in seinen Porträts aus; er konzentriert sich ganz auf seine Modelle, seien sie nun durch jugendliche Anmut - wie "Das bekränzte Kind" - oder durch gebrechliches Alter charakterisiert.
Ein Erneuerer, ein Avantgardist ist Reifferscheid nicht; sein Stil wurzelt in der Romantik und im Realismus des 19. Jahrhunderts. Er verzichtet auf jeden modischen Trend, aber er geht virtuos mit der Radiernadel um; und er gelangt zu neuen Bildfindungen und selbst zu kühnen Bildstrukturen, etwa in dem sehr schönen Blatt "Alte Linde" von 1900. […]
Quelle: General-Anzeiger vom 20.12.2007
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