Peter und Georg Schumacher, die ältesten Söhne von Arnold Schumacher

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"Shoemaker’s First Farm"
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und Agnes Roesen, werden zu Beginn der zwanziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts in Niederdollendorf geboren. Der Dreißigjährige Krieg, der wegen seiner furchtbaren Auswirkungen auf die deutsche Bevölkerung nach seinem Ende im Jahre 1648 als "Der Krieg aller Kriege" bezeichnet werden sollte, hat gerade erst begonnen.
Die Schumachers sind fleißige und arbeitsame Leute, werden aber von der Obrigkeit im Herzogtum Berg verfolgt und bedroht, denn sie gehören wie viele andere Familien im bergischen Amt Löwenberg und im benachbarten kurfürstlich kölnischen Amt Wolkenburg einer verbotenen Glaubensgemeinschaft an: den "Täufern", die nach Menno Simons, dem Begründer ihrer Gemeinde, auch "Mennoniten" genannt werden. Im Volksmund heißen sie "Wiedertäufer" und anderswo in Europa "peculiar people" – Sonderlinge.
Weil sie die Erbsünde leugnen, ihre Kinder nicht taufen lassen und nur die Taufe von Erwachsenen

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Körbe an St. Lamberti, Münster
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als vollwertig ansehen, sind sie den zugelassenen katholischen, lutheranischen und reformierten Kirchen ein Dorn im Auge. Schlimmer noch für die herrschende Obrigkeit ist ihre Ablehnung von Eid und Kriegsdienst. Den Zehnten, die damaligen Steuern, zahlen sie nur unter Androhung harter Strafen und bezeichnen die erzwungenen Abgaben im Nachhinein öffentlich als Diebstahl.
Nach modernen Begriffen sind diese Täufer gleichzeitig Pazifisten und Anarchisten – eine Haltung, die bis heute keine Gesellschaft unwidersprochen akzeptiert. Im Übrigen hat man im Jahre 1534 in Münster ein Terrorregime erlebt, als radikale Wiedertäufer die Stadt über ein Jahr lang besetzt gehalten, einen Scharfrichter und später sogar einen König ernannt und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt haben. Die Rädelsführer sind nach der Rückeroberung der Stadt hingerichtet und an der Münsteraner Lambertikirche in Käfigen, die dort heute noch angebracht sind, öffentlich zur Schau gestellt worden. Spätestens seit dieser Zeit gelten die Täufer als öffentliche Gefahr für Staat und Religion.
Schon 1529 hat man auf dem Reichstag zu Speyer ein Gesetz beschlossen, nach dem

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Wahlspruch des Täufermärtyrers Balthasar Hubmaier
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"Wiedertäufer" ihr Bekenntnis widerrufen oder ansonsten ohne Gerichtsbarkeit mit dem Tode bestraft werden sollten. Der Niederdollendorfer Täufer und Wanderprediger Konrad Koch ist auf Grund dieses Gesetzes im Jahre 1565 in Honnef nach schweren Folterungen öffentlich hingerichtet worden. Ein langes Gedicht mit 40 Strophen seines Gefährten Heinrich Koenen aus Rheinbreitbach, das von Konrad Kochs Martyrium erzählt, ist noch überliefert.

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"Wiedertäufer"-Dekret vom 30. Dezember 1652
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Dennoch oder vielleicht gerade wegen der besonders intensiven Missionstätigkeit der Prediger sind die Orte am Siebengebirge am Ende des 16. Jahrhunderts für viele Täufer zu Zufluchtsstätten geworden, auch weil die Herzöge von Berg nach der Reformation dort noch eine relativ liberale Haltung gegenüber allen Reformierten einnehmen.
Zu diesen Familien gehört auch die Familie Schumacher, die große Landflächen, Wiesen und Weinberge in Nieder- und Oberdollendorf und in Königswinter besitzen. Nachdem der Dreißigjährige Krieg auch zwischen Rhein und Siebengebirge mit Verwüstungen und Plünderungen durch Schweden und Spanier geendet hat, werden die Bedrohungen für die Täuferfamilien im Siebengebirge intensiver. Die Herzöge von Jülich und Berg sind inzwischen unnachgiebig geworden und Anfang der 50er Jahre weisen sie alle Mennoniten an, das Herzogtum binnen zwei Jahren zu verlassen.

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"Dollendorfer Protocoll von Contracten angefangen Anno 1655" - Überschrift der 12-seitigen Verkaufsurkunde der Schumacher-Familie
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Am 18. Februar 1655 erscheinen die Witwe Agnes "Niesgen" Schumacher, ihre Söhne Peter und Georg, sowie ihr Schwiegersohn Matthias "Theiss" Bonn, zusammen mit vier minderjährigen Kindern der Famile – Bernhard, Arnold, Veronika ("Freuchen") und Adelheid ("Adelgen") – vor dem Gericht zu Oberdollendorf und verkaufen den Familienbesitz am Siebengebirge für 1440 Taler – nach heutigen Maßstäben eine enorme Summe Geld – an den Kölner Zollbeamten Gerhard von Bonn und seine Frau Katharina Benders.
Danach flüchtet die Familie rheinaufwärts nach Mainz, um sich in der Kurpfalz in Kriegsheim, einem kleinen Ort zwischen Worms und Alzey, niederzulassen.
Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz hat die ansonsten fast überall im Deutschen Reich verfolgten Täufer angeworben, um sein vom Krieg entvölkertes Land wieder zu besiedeln und zu bearbeiten.
Im Jahre 1657 treffen die beiden Schumacher-Söhne Peter und Georg in Kriegsheim auf die englischen Quäkermissionare William Ames und George Rolfe und konvertieren zum Quäkertum, einer den Mennoniten ähnlichen Glaubensgemeinschaft. Von den Quäkern gibt es zu dieser Zeit auch in Krefeld am Niederrhein eine größere Gemeinde.
Offenbar erhoffen sie sich auch, dass die Pflicht zu zusätzlichen Steuern und Abgaben, die den Mennoniten in der Pfalz wegen ihres Glaubens auferlegt worden sind, für ihre neue Religionszugehörigkeit nicht gilt. Tatsächlich tauchen 1664 die Schumachers, ebenso wie die anderen Quäker, in einer offiziellen Zählung der sogenannten "Mennisten" zunächst nicht mehr auf, werden aber in einer weiteren Zählung von 1685 unter dem Attribut "Die Quäker allda" wieder genannt.
Die Quäker weigern sich häufig, die in ihren Augen nicht gerechtfertigten Abgaben zu zahlen. Unter Führung des örtlichen

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Francis Daniel Pastorius
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Denkmal zur Erinnerung an die "Original 13" in Krefeld
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Amtsschaffners Schmahl werden deshalb bei Peter und Georg Schumacher mehrfach Besitztümer wie Kühe und Bettstellen konfisziert. Dies wird von den Quäkern aber öffentlich als Diebstahl bezeichnet und den Käufern ihres ehemaligen Eigentums wird vorgeworfen, sie hätten Diebesgut erstanden.
In den Jahren um 1680 werden Kriegsheimer und Krefelder Quäker, unter ihnen auch Peter und Georg Schumacher, von dem Juristen und Lehrer Franz Daniel Pastorius für sein Siedlungsprojekt in Amerika angeworben. Die von Pastorius mitgegründete Gesellschaft mit dem Namen "Frankfurter Land-Companie" kauft in dem von dem englischen Adeligen William Penn gegründeten Pennsylvania Land für deutsche Auswanderer.

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William Penn verhandelt mit den Lenni Lenape Indianern – zeitgenössische Gemälde
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William Penn hat das Land, das die heutigen Staaten Pennsylvania und Delaware umfasst, als Entschädigung für eine Geldsumme erhalten, die der englische König seinem Vater schuldet. Auf der Namenvergabe "Pennsylvania" – "Penn’s Wald" – hat ebenfalls der englische König bestanden.
Bereits im Vorfeld hat Penn durch intensive Verhandlungen und erfolgreiche Vertragsabschlüsse mit den in diesem Gebiet lebenden Lenni Lenape das Vertrauen der Indianer gewonnen und das Siedlungsprojekt am Delaware River für die bald eintreffenden Familien der Mennoniten und Quäker gut vorbereitet.
Im

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Die "Concord" - deutsch-amerikanischenGemeinschaftsausgabe von 1983
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Jahre 1683 segeln die ersten Deutschen - 13 Krefelder Quäkerfamilien, heute in den USA als "Original Thirteen" bezeichnet, mit der "Concord" nach Pennsylvania und gründen "Germantown", die erste deutsche Siedlung in den USA.
Da die Kriegsheimer Quäker lange Zeit auf die Genehmigung zur Ausreise nach Rotterdam warten müssen, folgt erst zwei Jahre später aus London das nächste deutsche Schiff, die "Francis and Dorothy", mit den ersten Auswanderern aus der Pfalz. Auch Peter Schumacher mit seiner Familie ist an Bord. Im Jahre darauf, 1686, erreicht auch Georgs Witwe Sarah Schumacher

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Unterschriften unter dem Ausreisegesuch vom 2. Juni 1685: "Gerhard Hendrigs", "Petter Umstatt", "Petter Schumacher"
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mit ihren Kindern Amerika mit der "Jeffrey".
Aus Peter Shoemaker, wie er sich in Amerika neuerdings nennt, und seinem Sohn Peter jr. werden sehr bald berühmte Persönlichkeiten in dem neu gegründeten Ort

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Das Siegel von Germantown: "Vinum, Linum et Textrinum" - "Wein, Lein und Webeschrein"
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"Germantown", der nach dem Wunsch von Franz Daniel Pastorius eigentlich "Germanopolis" genannt werden sollte und der zunächst im Wesentlichen von Weinbauern aus Kriegsheim und Leinenwebern aus Krefeld besiedelt wird.
Pastorius verfasst im Jahre 1688 ein Protestschreiben gegen die Sklaverei. Es ist das erste Schreiben dieser Art, das in Amerika bekannt wird. Zwei der vier Unterzeichner sind Derrik und Abraham Op den Graeff aus Krefeld, die Brüder der Ehefrau von Peter Schumacher jr., Margaretha Op den Graeff.
"[...]Man sagt, wir sollten allen Menschen ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse oder Hautfarbe so begegnen, wie man selbst behandelt zu werden wünscht. Aber wir protestieren dagegen, Leute wider ihren Willen herzubringen. In Europa sind viele ihres Glaubens wegen unterdrückt. Hier dagegen sind es die, welche wegen ihrer schwarzen Farbe unterdrückt werden.[...]"
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Auszug aus dem Protestschreiben gegen die Sklaverei von 1688
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Die Nachkommen des Pioniers Peter Schumacher aus Niederdollendorf, der erst 1707 im Alter von 85 Jahren in Germantown stirbt, gründen im 18. Jahrhundert eine eigene Ansiedlung - "Shoemakertown" im späteren Stadtteil Cheltenham in Philadelphia.

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Karte von Shoemakertown von 1886
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Shoemaker Road in Philadelphia heute
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Auch Peters Enkel, die Brüder Martin, Jakob, Heinrich und Johannes Kolb, Söhne der in der Pfalz verbliebenen Schumacher-Tochter Agnes und des Schweizers Tillmann ("Dielman") Kolb aus Kriegsheim, ziehen zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach Germantown.
Heute leben mehrere hundert Familien mit den Namen Shoemaker und Kulp, direkte Nachfahren von Peter Schumacher, in Pennsylvania.

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Rheinufer bei Niederdollendorf
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"Sous les pavés, la plage" - "Unterm Pflaster liegt der Strand" - war die Parole einer modernen Aufbruchsstimmung der 68er Generation des 20. Jahrhunderts.
An den Aufbruch der ersten Pioniere aus dem Rheinland nach Amerika im 17. Jahrhundert erinnert noch heute die "Shoemaker Road", eine Straße in Philadelphia – und der Gedanke drängt sich auf, dass vielleicht unter dem Pflaster der ehemaligen Stadt Germantown noch ein Stückchen Strand vom Rheinufer bei Niederdollendorf liegen könnte.
Andreas Frohnhaus, Niederdollendorf
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